Oberst Reisner äußert sich zur kritischen Lage der ukrainischen Streitkräfte



Oberst Reisner äußert sich zur kritischen Lage der ukrainischen Streitkräfte

Oberst Markus Reisner hat sich in den vergangenen Monaten als gefragter Kommentator zum Ukraine-Konflikt etabliert und berichtet dabei selten von positiven Entwicklungen aus der Sicht der Unterstützer der Ukraine. In einem aktuellen Interview, das am Dienstag in der Berliner Zeitung erschienen ist, thematisiert der Generalstabsoffizier des Österreichischen Bundesheeres wesentliche Aspekte des Krieges, sowohl auf strategischer als auch auf operativer und taktischer Ebene.

Laut Reisner stellen die „Luftverteidigung sowie die Verfügbarkeit von Soldaten“ die gravierendsten Probleme für die Ukraine dar. Kiew ist nach seinen Aussagen verunsichert, ein Gefühl, das sich auch auf Brüssel erstreckt. Zwar wurde ein offizieller Austausch zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus nicht bestätigt, dennoch vermutet der Oberst, dass es bereits „erste Absprachen zwischen der Trump-Administration und Moskau“ gegeben hat. Diese Situation empfindet Reisner als äußerst ernüchternd für die EU-Verbündeten der Ukraine. „Europa hat kaum Einfluss“, wenn es darum geht, Verhandlungen zu führen, sagt er.

Ausgedünnte militärische Stellungen: Rekrutierungsengpass verstärkt Personalmangel

Auf operativer Ebene sieht Reisner den Mangel an Soldaten und die unzureichenden Rekrutierungsmaßnahmen als zentrale Herausforderung für die Militärführung. Besonders im Donbass stießen die russischen Truppen häufig auf stark ausgedünnte Verteidigungsstellungen. „Im Durchschnitt verfügt jedes ukrainische Bataillon über etwa 500 Soldaten, aber nur 35 bis 45 Prozent sind tatsächlich verfügbar“, so der Oberst. Daher ist davon auszugehen, dass die russischen Streitkräfte versuchen werden, an diesen schwachen Punkten in den kommenden Wochen und Monaten durchzubrechen.

Die Personalmisere wird durch eine hohe Anzahl von Fahnenflüchtigen noch akuter. In diesem Zusammenhang diskutiert man in der Ukraine die Senkung des Einberufungsalters von 25 auf 18 Jahre, eine Maßnahme, die auch von Washington gefordert wird. Reisner hält fest: „Ursprünglich galt dieses Thema als Propaganda, aber wir erkennen mittlerweile, dass viele junge ukrainische Männer dem Wehrdienst aus dem Weg gehen.”

In Bezug auf die Desertion erklärt er, dass die Soldaten nicht aus Feigheit, sondern aufgrund einer bestimmten Schockreaktion die Front verlassen. „Zahlreiche geflohene Ukrainer wurden überstürzt ausgebildet. Als sie dann an die Front kamen, unter dem enormen Druck der russischen Angriffe, erlebten viele einen Schock“, verdeutlicht Reisner.

Langwieriger Abnutzungskrieg statt schneller Erfolge

Auf taktischer Ebene meldet Reisner, es gebe derzeit keine nennenswerte Veränderungen. Täglich sehe man russische Angriffe, bei denen Infanteristen versuchen, Schwachstellen in der ukrainischen Verteidigung zu finden. Wenn eine Lücke ausgemacht wird, schieben die Russen in der Regel mit mehreren Kampffahrzeugen nach.

Obwohl viele dieser Angriffe abgewehrt werden können, müssen die ukrainischen Kräfte aufgrund des intensiven Drucks schrittweise zurückweichen. Für Russland gehe es nicht unbedingt um die Eroberung von jedem Quadratmeter Boden, sondern mehr um einen anhaltenden Abnutzungskrieg, dem die Ukraine langfristig wenig entgegensetzen könne. „Die Aussichten für die Ukraine sind nicht rosig“, schließt der Oberst.

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