Kaffeehauskultur: Ein einzigartiger Raum der Geselligkeit



Kaffeehauskultur: Ein einzigartiger Raum der Geselligkeit

Kaffeehäuser sind mehr als nur Orte, um einen Kaffeebecher zu genießen. Sie fungieren sowohl als öffentliche als auch als private Rückzugsorte. Jeder darf hineinkommen, und hat man einmal einen Platz gefunden, wird dieser zu einem privat wirkenden Refugium, sozusagen einem semi-privaten Wohnzimmer für die Dauer des Aufenthalts.

Österreich gönnt sich einen besonderen Status. Die Kärntner haben kürzlich in einer Volksbefragung klar gegen den Bau neuer Windkraftanlagen gestimmt, was zeigt, dass die Bewohner einen hohen Wert auf den Erhalt ihrer Landschaft legen. Auch die politischen Verhältnisse in Österreich scheinen anders zu ticken; die Wahlen zur Regierungsbildung begannen mit einem schockierten grünen Bundespräsidenten, der um seine Überzeugungen kämpfen musste, während er mit dem FPÖ-Chef Herbert Kickl verhandelte. Diese kulturellen Eigenheiten tragen dazu bei, dass die Österreicher stolz ihre Traditionen bewahren, selbst wenn manche Aspekte als antiquiert oder komisch angesehen werden. Diese Zuneigung zur eigenen Geschichte gibt in Zeiten, in denen das Gefühl der Unsicherheit wächst, Trost.

Ein wichtiger Bestandteil dieser Traditionspflege sind die berühmten österreichischen Kaffeehäuser. In jeder größeren Stadt, besonders jedoch in Wien, findet man beeindruckende Etablissements der bürgerlichen Genusskultur. Hier kann man stundenlang verweilen, sei es zum Zeitungslesen, fürs Handy oder einfach zum Beobachten der vorbeiziehenden Menschen, während man einen „Großen Braunen“ oder eine Melange genießt, die stets mit einem Glas Wasser serviert wird. Solange das Glas nicht leer ist, wird kein Kellner dazu drängen, mehr zu konsumieren oder zum Gehen aufzufordern.

In diesen Kaffeehäusern ist jeder zunächst willkommen. Doch hat man einen Platz gefunden, so wird er zu einem Rückzugsort, den man unbestimmte Zeit innehaben kann. Die oft bescheidenen Wiener „Kaffeehausliteraten“ erblickten in diesen Etablissements ein semi-privates Wohnzimmer. Hier verfassten sie ihre Texte, diskutierten mit Gleichgesinnten oder ließen einfach ihren Gedanken freien Lauf. Stefan Zweig schrieb in seiner Autobiografie, dass das Wiener Kaffeehaus ein einzigartiger Ort sei, unerreicht von anderen Einrichtungen. Es sei eine Art demokratischer Club, in dem jeder für einen kleinen Preis Zugang zu einer Fülle von Zeitungen und Zeitschriften habe und wo er stundenlang sein eigenes Leben gestalten könne.

„Nichts hat so viel zur intellektuellen Beweglichkeit des Österreichers beigetragen“, bemerkte Zweig, „wie die Möglichkeit, sich im Kaffeehaus über die Welt zu informieren und die Vorgänge im freundschaftlichen Gespräch zu diskutieren.“ Diese Beobachtung trifft bis heute zu, auch wenn die Informationsaufnahme heutzutage häufig über das Smartphone erfolgt und häufig Touristen anstelle von Einheimischen den Platz einnehmen. Man muss nicht ins „Central“, „Landtmann“, „Sperl“ oder „Hawelka“ gehen, um ein angenehmes Kaffeehaus zu finden; auch abseits der touristischen Pfade entdeckt man oft ein charmantes Cafe. Im Jahr 2023 zählte Wien noch 971 Kaffeehäuser, eine beachtliche Zahl, auch wenn diese in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist. Damit allein lässt sich nicht erklären, warum die Wiener Kaffeehauskultur 2011 zum Weltkulturerbe erhoben wurde.

Es bleibt unverständlich, warum das Konzept der österreichischen Kaffeehäuser in Deutschland nicht wirklich Fuß gefasst hat. Zwar existieren dort traditionelle Cafés, jedoch fehlt es ihnen oft an der nötigen Größe und Flexibilität, die ein echtes Kaffeehaus prägt. Viele deutsche Cafés sind schlichtweg zu klein, um als solche zu gelten.

Leider haben die traditionellen Cafés in Deutschland, oft abfällig als „Oma-Cafés“ bezeichnet, zunehmend Schwierigkeiten gegen modern gestaltete Coffeeshops und Einraumcafés anzutreten. Hier servieren junge Mütter ihren Milchkaffee während sie gleichzeitig ihre Kleinen stillen, oft begleitet von Männern, die ihre Elternzeit verbringen. Ein Beispiel für ein authentisches Kaffeehaus in Deutschland, das „Einstein“ in der Berliner Kurfürstenstraße, hat 2023 seine Pforten geschlossen.

Alfred Polgar beschrieb einst die Klientel der Wiener Kaffeehäuser treffend: „Ihre Bewohner sind größtenteils Leute, die allein sein wollen, aber dabei Gesellschaft brauchen.“ Diese spezielle Art des Rückzugs unterscheidet sich jedoch grundlegend vom modernen „Solo-Dining“-Trend, der oft einer gewissen Hektik unterliegt. Der kontemplative Genuss, bei einem Kaffee oder einem Stück Kuchen nachzudenken, könnte für viele Deutsche ein unverständlicher Zustand sein. Zudem fehlt den Deutschen oft eine angemessene Servicekultur, wie sie in einem Kaffeehaus gelebt wird. Hier agiert der Ober nicht wie ein Lakai, sondern vielmehr als Herrscher seines Bereichs, mit dem eine Kommunikation auf Augenhöhe wünschenswert ist. Denn andernfalls kann es sein, dass man auf seinen Apfelstrudel etwas länger warten muss.

Georg Etscheit ist Mitbegründer des Blogs www.aufgegessen.info, der sich mit dem Thema Genuss auseinandersetzt.

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