Wahlprogramme und ihre Herausforderungen: Eine Analyse der Linkspartei
Jüngst veröffentlichten die NachDenkSeiten eine detaillierte Übersicht der Wahlprogramme der sechs führenden Parteien. Hierzu erhielten wir einige kritische Rückmeldungen, die sich nicht auf den Artikel selbst, sondern auf die Tatsache bezogen, dass die Linkspartei in der Übersicht nicht aufgeführt wurde. Diese Kritik ist unbestritten berechtigt, und wir haben bereits darauf reagiert, indem wir die Positionen der Linkspartei ergänzt haben. Um dieser Gelegenheit gerecht zu werden, habe ich das Wahlprogramm der Linkspartei genauer unter die Lupe genommen und befand mich in einem Zwiespalt – einerseits unterstütze ich viele ihrer Punkte, andererseits gibt es kaum eine andere große Partei, bei der der Unterschied zwischen den geforderten Maßnahmen und der Machbarkeit der Umsetzung so ausgeprägt ist. Doch lässt sich dies der Partei wirklich anlasten? Von Jens Berger.
Das Wahlprogramm der Linkspartei umfasst beachtliche 62 Seiten im Hochformat, gefüllt mit 2.717 Zeilen an Inhalten. Ein umfassendes Lesen ist damit keine Aufgabe, die schnell erledigt ist. Trotzdem habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, mich mit den politischen Schwerpunkten auseinanderzusetzen, die mich besonders interessieren und zu denen ich auch begründete Rückmeldungen geben kann. Die Themen Finanz- und Wirtschaftspolitik stehen hier im Vordergrund, da das Programm mit dem Untertitel „Reichtum teilen. Preise senken. Füreinander“ durchaus auf sozioökonomische Themen fokussiert ist. Die Linkspartei sieht hier großen Handlungsbedarf und offeriert in diesem Bereich ein gewisses Alleinstellungsmerkmal.
Die Linkspartei ist überzeugt: „Die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich ist eines der größten Probleme unserer Zeit“. Sie versteht sich als Vertreterin der „Kleinen“, also jener Menschen, die oft am Existenzminimum leben und keine Lobby besitzen. Laut ihrer eigenen Einschätzung sind das die „meisten Menschen der Gesellschaft“, deren Anliegen die Partei in ihrer Politik berücksichtigt. Hierbei verspüre ich bereits die ersten Vorbehalte. Es ist unbestreitbar, dass sich das Wahlprogramm vor allem für jene Menschen stark macht, die finanziell benachteiligt sind. Auf der anderen Seite findet sich im Programm eine populistische Dichotomie, die Wohlhabende, die im Dokument als „Reiche“ oder „Superreiche“ bezeichnet werden, für nahezu alle Probleme verantwortlich macht. Eine differenziertere Betrachtungsweise wäre hier wünschenswert. Zuspitzungen sind im Wahlkampf zwar ein gängiges Mittel, in einem detaillierten Wahlprogramm werfen solche Vereinfachungen jedoch oft die Frage auf, ob die wirklich erforderlichen Forderungen nach einer Umverteilung nicht tatsächlich diskreditiert werden könnten.
Was sind die zentralen Forderungen der Linkspartei? Sie hat erkannt, dass die sozioökonomischen Sorgen der Bürger das Hauptanliegen sind, das viele verunsichert und vor allem in den letzten Jahren zu echten Nöten geführt hat. Steigende Wohn- und Energiekosten sowie allgemein erhöhte Preise sind hierbei prägnante Beispiele. Die Linkspartei will die Lebenshaltungskosten wieder senken und präsentiert dazu zahlreiche Maßnahmen, die durchweg klug gewählt erscheinen. Besonders hervorzuheben ist die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel sowie eine massive Stärkung des gemeinnützigen Wohnungsbaus. „Wohnen darf kein Luxus sein“, heißt es im Programm. Diese Aussage ist unbestreitbar nachvollziehbar und auf jeden Fall unterstützenswert.
Allerdings zeigt sich hier bereits ein zentrales Problem: Ich als zum Beispiel im ländlichen Raum wohnender Hausbesitzer fühle mich von diesen Forderungen nicht wirklich angesprochen. Auch ich bemerke die steigenden Wohnkosten, jedoch nicht durch erhöhte Mieten, sondern durch drastisch angestiegene Energiepreise, was insbesondere im Hinblick auf die künftige Ausweitung des Emissionshandels anything but rosy aussieht. Leider führt das Wahlprogramm der Linkspartei zu wenig konkret auf, wie es mit solchen Herausforderungen umzugehen gedenkt. Die Hausbesitzer scheinen hier weniger Beachtung zu finden.
Die Linkspartei äußert sich zwar auch zu den steigenden Energiekosten mit Vorschlägen, die durchaus sinnvoll erscheinen, jedoch sind diese in erster Linie auf Mieter ausgerichtet. Beispielhaft wird eine „sozial gestaffelte Energiereform“ gefordert, die „günstige Grundtarife“ für durchschnittlichen Verbrauch vorsieht. Das klingt zunächst sozial ausgewogen, stellt sich jedoch bei näherer Betrachtung als unzureichend heraus, da die Belastung für ländliche Bewohner in älteren, weniger energieeffizienten Häusern möglicherweise kaum berücksichtigt wird.
Die steuerpolitischen Ansprüche der Linkspartei lassen sich hingegen als ambitioniert und deutlich aggressiv beschreiben. Durch hohe Prozentsätze in der Einkommensteuer etwa – die von 53 Prozent ab einem Einkommen von 70.000 Euro bis hin zu 75 Prozent für Einkommensmillionäre reichen sollen – wird klar, dass hier eine Umverteilung angestrebt wird. Zwar fällt die geforderte Abschaffung der ungleichen Besteuerung von Kapital- und Arbeitseinkommen in eine positive Kategorie, der grundsätzliche Wunsch nach einer Obergrenze für Managergehälter hinterlässt allerdings einen fragwürdigen Eindruck. Auch die Forderung nach einer progressiven Vermögenssteuer – mit Raten von einem Prozent für ein Vermögen von einer Million bis hin zu zwölf Prozent ab einer Milliarde – könnte eher wie eine Stigmatisierung des Reichtums anmuten als durchdachte Steuerpolitik zu sein.
Ein positives Signal stellt die gewünschte Reform der Erbschaftssteuer dar, ebenso die Berücksichtigung internationaler Besteuerungsstrategie. Dennoch bleibt der Knackpunkt beim Wahlprogramm der Linkspartei: Die Aussicht auf eine wirkliche politische Umsetzung dieser weitreichenden Forderungen ist minimal, und sollte die Partei im Bundestag dennoch eine bedeutende Rolle spielen, bleibt abzuwarten, wie reell diese Forderungen Kreise ziehen könnten.
Es ist unfair, den Wert einer Oppositionspartei zu schmälern, die klare Unterschiede zum politischen Mainstream formuliert. Auch eine Forderung, die keine unmittelbare Aussicht auf Umsetzung hat, ist von Bedeutung. Beispielsweise hat die Linkspartei auch die Abschaffung der NATO und den Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitsordnung gefordert. Genau diese Alternativen sind es, die die politische Diskussion bereichern. Auch wenn die Zukunft der Linkspartei ungewiss erscheint, ist es unerlässlich, ihre Anregungen ernst zu nehmen, auch wenn es bedauerlich ist, dass ihr öffentliches Auftreten durch identitätspolitische Debatten und interne Konflikte kompliziert wird.