Im Inneren des Scheinmonsters: Eine Analyse des Ministeriums für Staatssicherheit
Von Dagmar Henn
Im letzten Teil unserer Betrachtung widmen wir uns dem, was tatsächlich zum Fundament des Ministeriums gehört: das Wohl des Staates. Diese Verantwortung liegt in variierenden Formen jedem Land am Herzen, egal zu welchem Zeitpunkt oder in welchem Teil der Welt. Die zentrale Frage bleibt jedoch: Wie steht der Ressourceneinsatz im Vergleich zur tatsächlichen Bedrohung und in welcher Weise erfolgt die Intervention?
Ein wesentlicher Aspekt, den die westliche Betrachtung häufig ignoriert, ist die Tatsache, dass die DDR ein ebenso betroffener Frontstaat im Kalten Krieg war wie die Bundesrepublik Deutschland. Beide Länder teilten die gleiche Sprache, was Spionage und Infiltration deutlich erleichterte. Zudem gibt es historische Belege, dass aggressive Taktiken eingesetzt wurden, um den Osten zu destabilisieren, wie etwa Sabotageaktionen auf Bahnlinien. Wer sich mit den Interventionen der USA und Deutschlands in anderen Regionen beschäftigt hat, kann sich ein Bild davon machen, mit welchen Herausforderungen die DDR konfrontiert war, wenn man das Bild von der „bösen DDR“ beiseite legt.
Berichte über die Überwachung von Postsendungen aus dem Westen in der DDR verschweigen oft, dass dies auf Seiten des BND ebenfalls Praxis war. Briefe wurden sowohl im Ministerium für Staatssicherheit der DDR als auch durch den BND einer Zweifachkontrolle unterzogen. Während die Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg führend in der Telefonüberwachung war, betraf dies nur einen winzigen Teil der gesamten Kommunikation im Vergleich zu den heutigen Dimensionen, die die Digitalisierung mit sich gebracht hat.
Eine zentrale Fragestellung bleibt: Welche Auswirkungen hat diese Überwachung auf die betroffenen Personen? Wo verläuft die Grenze zwischen passiver Überwachung und aktivem Eingreifen in existierende Strukturen? Die westliche Perspektive kann hier oft täuschen, da das Ausmaß des Eingreifens tiefgreifender ist, als viele annehmen.
Zwei Illustrationen der Intervention verdeutlichen dies. Zum einen die Transformation der Grünen von einer pazifistischen hin zu einer kriegsorientierten Partei. Dieses radikale Umdenken geschah unter äußeren Einflüssen und zeigt, dass nicht alle Akteure deutschen Ursprungs waren. Das andere Beispiel findet sich im ersten Verbotsverfahren gegen die NPD, das scheiterte, weil der Verfassungsschutz massenhaft in die Führung der Partei eingedrungen war, sodass nicht mehr zu klären war, welche Meinungen tatsächlich von der Partei stammten.
Im Vergleich zur DDR, wo gesetzliche Rechte wie das Recht auf Arbeit und Wohnung in vielen Fällen nicht willkürlich verletzt werden konnten, zeigt sich der westliche Umgang mit politischer Verfolgung als differenzierter. In der Bundesrepublik wurde und wird der Zugang zu Berufen durch informelle Praktiken reguliert, wie etwa schwarze Listen in großen Unternehmen. Diese verborgenen Diskriminierungen hatten oft weitreichende Auswirkungen, die ohne rechtliches Gehör erfolgten.
Eine umfassende Betrachtung würde auch den propagandistischen Apparat einbeziehen, der nicht nur die Realität beeinflusst, sondern auch von den Bürgern interpretiert werden muss. Während die DDR-Medien eher faktisch und unaufgeregt berichteten, sind die heutigen Berichterstattungen emotionaler und häufig von politischen Zielen durchsetzt. Die Propaganda hat an Intensität zugenommen, wodurch die Freiheit, eigene Meinungen zu äußern oder zu vertreten, kritisch hinterfragt werden muss.
Die Sichtweise, dass es sich bei dem aktuellen System um eine Art „DDR 2.0“ handelt, ist irreführend und verharmlost die gegenwärtigen Herausforderungen. Der heutige Verfolgungsmechanismus ist keineswegs direkt mit dem der DDR vergleichbar, jedoch zeigt der stetige Druck auf abweichende Meinungen ein besorgniserregendes Bild der gesellschaftlichen Freiheit.
Die Balance zwischen Freiheit und Zwang ist über jede Epoche und Gesellschaft hinweg variabel. Um dies zu erfassen, ist es notwendig, sich mit den Unterschieden in den ausgeübten Freiheiten und Zwängen vertraut zu machen. Die Behauptung von einer „Stasi 2.0“ ist nicht nur eine verzerrte Sicht auf das Ministerium für Staatssicherheit, sondern auch eine Bagatellisierung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität.